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H A L O D I S P L A Y     D A V O S     1 . 1 2 . 2 0 2 2



Eisnebelhalos haben eine unglaubliche Dynamik, die in den öfter zu sehenden fantastischen Fotos überhaupt nicht zur Geltung kommt:
  • manche Halos bleiben trotz unterschiedlicher Sonnenhöhe konstant in ihrem Aussehen: 22°-Kreis, Horizontalkeis und weitere
  • andere verändern ihre Form, teilweise sogar sehr stark: Berührungsbögen, Zirkumzenitalbogen
Die Eiskristalle verändern ebenso im Laufe des Tages ihre Form. Es gibt sechseckige Plättchen, die zu sechsseitigen Stäbchen heranwachsen können und umgekehrt. Beide haben maximale Grössen deutlich kleiner als Schneeflocken, also höchstens zwei Millimeter, und schweben deswegen sehr gut. Anders als Schneeflocken sind sie völlig durchsichtig und bieten den Lichtstrahlen der Sonne extrem unterschiedliche Wege der Spiegelung (rein weisse Halos) an den Aussenseiten oder der Brechung (bunte Halos). Bisher sind etwa 50 verschiedene Haloformen beschrieben worden. Die wichtigsten Halos sind folgende:
  • Plättchen (plates), die ohne spezielle Ausrichtung schweben:
       22°-Halo - der bekannte runde Kreis um die Sonne
  • Plättchen (plates), die waagerecht schweben:
       Nebensonnen (links und rechts der Sonne) und Zirkumzenitalbogen (hoch oben)
  • Stäbchen (columns), die rotierend schweben:
       Oberer Berührungsbogen, Supralateralbogen
  • Stäbchen (parry oriented columns), deren untere Fläche parallel zur Erdoberfläche bleibt:
       Parrybogen
Fast alle Haloformen lassen sich diesen vier Grundtypen der Kristallformen und -ausrichtungen zuordnen. Wenn komplexe Haloerscheinungen zunächst verwirrend erscheinen, bereitet es aber Vergnügen, mit diesem Wissen alle gesehenen Einzelhalos genau diesen vier Kategorien zuzuordnen. Selbst wenn man die einzelnen Eiskristalle nicht mit blossem Auge sehen kann, weiss man doch, wie sie wohl aussehen müssen. Und besonders schön ist es, wenn man Zeit hat, den Kristallen - ohne dass man sie tatsächlich einzeln sieht - doch bei ihrem Wachstum zuschauen zu können.

In Davos (und vermutlich allen alpinen Skigebieten) wachsen die Eiskristalle sehr dynamisch, anders als in (ant-)arktischen Gebieten. Hier ist das Wachstum üblicherweise genau in der Reihenfolge der oben beschriebenen vier Kategorien: Wild taumelnde Plättchen werden grösser und schweben langsam nur noch waagerecht, wachsen in die Dicke und kippen um 90° zu liegenden "Bleistiften", die sich zunächst noch wild drehen, aber immer mehr von ihnen schweben letztendlich still mit einer Fläche parallel zum Erdboden. Alle vier Kategorien können exklusiv oder in jedem beliebigen Mischungsverhältnis zueinander vorkommen.

Beginnen wir eine wilde Reise durch einen aussergewöhnlichen Davoser Halo-Tag...


Es ist 8:36, ich werde langsam wach. Der Wetterbericht war "bewölkt", und ohne Erwartungen gucke ich aus dem Fenster. Was ich sehe, muss ich erst einmal sortieren:
  • die Schneekanonen oben auf dem Grat des Brämabüels blasen wie verrückt - anders als sonst, wenn sie meist mitten in der Nacht aufhören. Und sie erzeugen nicht Schnee der herunterrieselt, sondern gigantische schwebende Eiswolken! Diese sind zwar nicht direkt halobildend, aber die Eiswolken von vor ein paar Stunden, die ins Tal herabsinken und dabei reifen - also zu schönen Kristallen auswachsen - sind es extrem!
  • oben sind dicke Wolken, die die Sonne blockieren werden und somit Halos verhindern werden?
  • oha, da ist ein klein bisschen Orange Mitte links im Bereich des Oberen Berührungsbogens. Kommt also doch die Sonne durch die Löcher und kann lokal begrenzte Halos erzeugen?
  • links unten blicken wir in das Dischmatal - an dessen Davoser Ende (weiter links) der eine von den beiden hier wichtigen winterlichen Kaltluftseen liegt. Und was hier so unscheinbar trüb aussieht, ist blanker feiner bester Diamond Dust, sichtbar über eine so grosse Strecke - Alarmstufe ROT!




08:50 - 14 Minuten später bin ich an der Davoser Talstrasse direkt am Ausgang des Dischmatals, am Ende des Kaltluftsees und warte auf den Sonnenaufgang:



Die Sonne ist genau hinter dem Gipfel des Schwarzhorns und wirft seinen Schatten auf eine Wolkendecke in mittlerer Höhe des Bergrückens. Nach rechts sieht man einen kleinen weissen Schweif - das ist das an den Aussenkanten von waagrecht schwebenden Plättchen gespiegelte Licht: ein Horizontalkreis. So wie hier ist er aber normalerweise nie zu sehen - weil die Sonne normal nie so perfekt abgedeckt ist. Die Situation ist wie bei der Sonnencorona bei einer Sonnenfinsternis.
Das Thema lautet also plates, was insofern überraschend ist, als die Einzelhalos der letzten Tage allesamt column-Halos waren.


08:56 - Als die Sonne aufgeht, die fast erwartete Enttäuschung: nur ein magerer 22°-Kreis und minimalste Spuren eines Oberen Berührungsbogens. Der 22°-Kreis entsteht durch Lichtbrechung innerhalb von in allen Richtungen purzelnden plates (die Lichtstrahlen treten an einer Seitenfläche ein und an der übernächsten wieder aus), der oben auf ihm aufsitzende Obere Berührungsbogen in einfach orientierten (heisst: zufällig um die horizontale Längsachse ausgerichtet) columns (Genau wie beim 22°-Kreis, bloss hochkant).




08:57 - plates bilden auch einen der farbenprächtigsten Halos überhaupt - den Zirkumzenitalbogen. Er ist gar nicht so selten, aber kaum jemand sieht ihn, weil normalerweise fast niemand senkrecht nach oben schaut. Das Sonnenlicht tritt von oben in das Plättchen ein und dabei nach unten abgelenkt durch eine Seitenfläche wieder aus. Hier ist der Zirkumzenitalbogen aber überaus mager. Noch...




08:58 - Hier ein Gesamtbild. Der Mittelpunkt des gedachten ZZB-Kreises ist genau senkrecht über dem Betrachter.




09:09 - Da der Dischma-Kaltluftsee so unergiebig war, fahre ich Richtung Sertig, dem südlichen Nachbartal ebenfalls mit einem Kaltluftsee an seinem Ende. Die Temperatur ist -4°C, aber es nieselt nass. Über der Kaltluft am Boden ist offenbar eine wärmere Luftschicht. Trotzdem sind Halos zu sehen:


Es wird Zeit das Auge zu schärfen: Unter dem oben gelegenen Zirkumzenitalbogen kann man schwach rötlich einen weiteren grösseren Bogen erkennen, der nach unten geöffnet ist. Dafür kommen nur zwei Halos in Frage, die von columns gebildeten häufigeren Supralateralbogen und die viel selteneren 46°-Bögen. Erstere sind bei dieser Sonnenhöhe oben leicht eiförmig und berühren den ZZB, letztere sind kreisrund und haben deutlichen Abstand zum ZZB. Wie man in einer speziellen Bildbearbeitungstechnik (Rot-minus-Blau-Bild) gut erkennen kann, ist das zweite der Fall - es handelt sich also um einen 46°-Kreis:



09:16 und 09:24 - Langsam wachsen immer mehr Plättchenkristalle und richten sich waagerecht aus. Dadurch entstehen Nebensonnen, die ziemlich häufig sind, aber selten so gleissend hell werden wie hier. Insgesamt ist das Halogeschehen aber immer noch sehr bescheiden






09:36 - Wieder in Ortsmitte. Die Nebensonne entwickelt einen langen weissen Schweif. Dieser kann - wie hier - bei dieser Sonnenhöhe so lang werden wie der Abstand der Nebensonne zur Sonne selbst: 22°.




10:06 und 10:15 - Die Sonne ist weitergewandert und scheint jetzt rechts vorbei vom Brämabüelgipfel in den Eisnebel. Die so erzeugte Nebensonne hat ebenfalls einen Schweif in maximal möglicher Länge. Unter dem Schweifende erkennt man ein schief gekipptes "Regenbogen"-Segment: Das ist ein Stück eines Infralateralbogens - der untere Bruder des oben am Rande erwähnten Supralateralbogens:






10:20 - Die plates haben ihren Höhepunkt erreicht: kräftige Nebensonnen mit prächtigem Schweif, und leuchtender Zirkumzenitalbogen:








10:24 - Der Wandel: fast aus dem Nichts heraus erscheinen neue Halos. Auf dem runden 22°-Kreis um die Sonne sitzt oben eine flache "Schale": der Obere Berührungsbogen. Auf ihm schwebt der "Deckel": der fein gezeichnete Parrybogen. Und unterhalb des ZZBs sitzt der riesige Supralateralbogen - der gut erkennbar den ZZB direkt berührt und nicht wie der fast identisch geformte 46°-Kreis Abstand zu ihm hält. Zudem ist er etwas eiförmig. Alle drei werden von columns gebildet. Die Kristalle für den Parrybogen schweben waagerecht und drehen sich nicht um die Längsachse, sondern haben die untere und obere Fläche parallel zur Erdoberfläche. Deswegen ist der Parrybogen so extrem schmal gezeichnet und trotzdem sehr bunt (reine Spektralfarben).








10:29 - Wir haben den Standort wieder gewechselt und sind jetzt am Ende des Sertigtals, im zweiten für Halos bedeutenden Kaltluftsee. Am grossen Supralateralbogen sehen wir links und rechts etwa bei 2°° und 10°° hellere Stellen mit zusätzlichem Blau aussen. Das sind Tapes Bögen (Parry Lateralbögen), die in sauberer Ausprägung als kleine U-förmige Böglein zu sehen wären. Sie sind sehr selten sauber zu sehen. Ausserdem hat der weisse Schweif der rechten Nebensonne eine enorme Länge erreicht. Aber das weisse Band entsteht weiter aussen (rechts vom SLB) nicht mehr wie der Nebensonnenschweif durch innere Brechung im Kristall, sondern durch reine Spiegelung an den Aussenflächen. Dieses Band heisst Horizontalkreis und kann im Extremfall einmal rund um den gesamten Himmel reichen.







Wie erwähnt überlagern sich 46°-Kreis und Supralateralbogen weitgehend. Im Bereich der Kreuzung mit dem weissen Horizontalkreis gibt es ein weiteres Unterscheidungsmerkmal: Der 46°-Kreis bleibt kreisrund und schneidet den HK sauber senkrecht, während der SLB sich nach aussen biegt. Von unten kommt der Infralateralbogen wie ein Spiegelbild ebenfalls nach aussen gebogen zum HK. SLB und ILB bilden deswegen beim HK ein schmales X. Hier sind also alle erwähnten Halos beteiligt.




10:29 - Wie horizontal sind Horizontalkreis und Zirkumzenitalbogen? Wenn man das Bild sauber ausrichtet und eine Projektionsform ähnlich wie bei einem Panoramabild wählt, werden HK und ZZB tatsächlich als waagerechte Linien abgebildet. Für unser Auge erscheint das aber ungewohnt:




10:31 - Die ganze Pracht. Das Halodisplay ist voll entwickelt und hat seinen Höhepunkt erreicht.








Der Zirkumzenitalbogen in seiner vollen Pracht


10:37 und 11:12 - Der Untergang. Überraschend schnell bricht das Display zusammen. Zuhause ist nur noch ein Stück Infralateralbogen erkennbar.






13:17 - Das erste Revival. Völlig unerwartet erschien am späten Mittag noch einmal ein column-Display. Unten Mitte der 22°-Kreis, links der Supralateralbogen, dazwischen der schon sehr tief hängende linke Flügel des Oberen Berührungsbogens.




14:56 - Noch einmal knappe zwei Stunden später war dann wirklich Schluss, für den Tag... Nur ein einsamer aber schöner Oberer Berührungsbogen krönte den Blick Richtung Südwesten:




alle Bilder © B. Radelow 2022

gesehene Halos:
  • 22°-Kreis
  • Oberer Berührungsbogen
  • Unterer Berührungsbogen
  • Konvexer Parrybogen
  • 46°-Kreis
  • Supralateralbogen
  • Infralateralbogen
  • Zirkumzenitalbogen
  • Tapes Bögen
  • Nebensonnen
  • Horizontalkreis, auch direkt parasolar
  • Oberer und Unterer Lowitzbogen (z.B. um 10:15)
  • Mittlerer Lowitzbogen (10:20)

  • gut möglich gewesen, aber nicht gesehen:
  • Sonnenbögen
  • Moilanenbogen